Doktorarbeit: Leben schützen – nicht durch Anonymität, sondern vor und aus der Anonymität

Leben schützen – nicht durch Anonymität, sondern vor und aus der Anonymität

Eine ethische Beurteilung von Babyklappe und anonymer Geburt im Kontext von Hilfen für Schwangere und Mütter in Not

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Ethik in Forschung und Praxis, Band 12

Hamburg , 360 Seiten

ISBN 978-3-8300-7361-1 (Print) |ISBN 978-3-339-07361-7 (eBook)

Rezension

[...] Gerade wenn man der ethischen Abwägung zustimmt (vgl. 213–218), dass es angesichts eines fehlenden Nutzens für den perinatalen Lebensschutz nicht gerechtfertigt erscheint, neugeborenen Kindern im Rahmen systematischer Angebote zur anonymen Kindesabgabe ihre genealogische Identität vorzuenthalten, hätte man sich eine noch fundiertere Entkräftung des hohen moralischen Anspruchs gewünscht, wie ihn die anbietenden Institutionen häufig vertreten. Wie die Autorin völlig richtig anmerkt, werden diese nämlich ihrer Fürsorgepflicht keineswegs gerecht, wenn sie betroffenen Müttern (bewusst oder unbewusst) suggerieren, mit der Trennung von ihrem Kind könnte die aus ihrer biografischen Situation resultierende Notlage gelöst werden (vgl. 255 ff). Durch eine breite Darstellung schon existierender (Kap. 5) und noch einzurichtender (Kap. 6) Hilfsangebote wird deshalb abschließend der Blick dafür geschärft, wie in Schwierigkeiten befindliche Schwangere so beraten, unterstützt und begleitet werden können, dass sie in die Verlegenheit einer anonymen Kindesabgabe gar nicht erst geraten.

Im Großen und Ganzen verschafft die Untersuchung einen ordentlichen Einblick in die ethischen und rechtlichen Sachfragen, auch wenn die aktuelle Rechtslage hinsichtlich der sogenannten vertraulichen Geburt noch nicht berücksichtigt ist. Das umfangreiche Literaturverzeichnis bildet die bisherigen Debattenbeiträge nahezu vollständig ab. Wer sich eine grundlegende Übersicht verschaffen will, ist also [...] mit dieser Fleißarbeit recht gut bedient [...].

Lars Klinnert in: Zeitschrift für Medizinische Ethik, 61 (2015)


Zum Inhalt

Schlagzeilen wie:

„Neugeborenes vor Supermarkt – Polizei sucht nach Mutter“, „Kurz nach der Geburt getötet. Säugling auf Rastplatz gefunden“, „Mutter tötet Baby Vier Jahre Haft beantragt“, „Baby aus dem 5. Stock geworfen“, „Mutter soll drei Neugeborene getötet haben“, „Baby vor Plattenbau ausgesetzt Suche nach Mutter“, „Baby in NRW ausgesetzt. Polizei fahndet nach der Mutter“

finden sich in Deutschland immer wieder in sämtlichen Tageszeitungen und stellen Staat, Gesellschaft und Kirche vor große Herausforderungen. Es keimen Fragen auf wie: Wer sind die Frauen, die ihre Kinder aussetzen, töten oder abtreiben? Welche Notlagen führen dazu, dass sie keinen anderen Ausweg sehen als die Entsorgung ihres Neugeborenen?

Frauen sehen sich heutzutage mit den unterschiedlichsten Lebenskonzepten konfrontiert. Zum einen wird verlangt, dass sie möglichst eine abgeschlossene Berufsausbildung mit darauf folgender Berufstätigkeit absolvieren, zum anderen sollen sie aber auch liebevolle Hausfrauen und Mütter sein und das auch noch perfekt und alles minutiös geplant, denn „?Das perfekte Kind?, das bedeutet heute eben auch: das Kind zum perfekten Zeitpunkt, perfekt in die Berufslaufbahn eingepasst und unter perfekten Lebensumständen.“ Dass dies schlichtweg in den meisten Fällen nicht praktikabel ist, führt dazu, dass durch eine Schwangerschaft Frauen dazu gezwungen sind, ihr Leben grundsätzlichen Änderungen zu unterwerfen. Das ist es, was in Deutschland meist von Frauen und Müttern, seltener jedoch von den Männern und Vätern, nach wie vor bewusst oder unbewusst, erwartet wird. Doch was ist mit Frauen, die zu diesem Zeitpunkt und vielleicht von einem bestimmten Mann kein Kind bekommen möchten? Durch eine Schwangerschaft können Konflikte verschiedener Art und im Besonderen Beziehungskonflikte aufbrechen oder verstärkt werden. In manchen Fällen sehen die Frauen für sich keinen anderen Ausweg, als sich durch Aussetzung, Tötung oder Schwangerschaftsabbruch von ihrem Kind zu befreien, um so eine Lösung des Konflikts zu erreichen.

Der deutsche Staat hat immer wieder Versuche unternommen, Kindesaussetzungen, Neonatiziden und Schwangerschaftsabbrüchen entgegen zu wirken. Für letztere kam es 1995 zu einer Kombination aus Beratungs- und Indikationslösung. Um Kindesaussetzungen, Kindestötungen und Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern bzw. zu verringern kam es im Jahr 2000 zur Einrichtung der ersten Babyklappe im Deutschen Bundesgebiet durch den Verein SterniPark e.V. In Deutschland haben Schwangere und Mütter seit nunmehr zwölf Jahren die Möglichkeit, ihr Kind anonym in einer der rund 80 Babyklappen abzugeben bzw. ihr Baby in einer von etwa 130 Kliniken, welche die anonyme Geburt anbieten, anonym zur Welt zu bringen und dort zurückzulassen.

Nach wie vor gibt es in Deutschland keine gesetzliche Regelung für eine solche anonyme Abgabe. Sie ist illegal, sagen die einen, der Großteil der Juristen spricht von einer rechtlichen Grauzone, in der sich sowohl die Mütter in Not als auch die Betreiber und Anbieter bewegen. Verboten wurden die Angebote der anonymen Kindesabgabe jedoch bisher noch nicht. Insgesamt wurden der Bundesregierung vier verschiedene Gesetzesentwürfe bezüglich der Angebote zur anonymen Kindesabgabe vorgelegt, die jedoch allesamt nicht weiter verfolgt wurden. Die amtierende Familienministerin Schroeder hat es sich darum zur Aufgabe gesetzt, in der laufenden Amtsperiode zu einer gesetzlichen Regelung vertraulicher Geburten zu kommen.

Gerade im theologischen Bereich gibt es allerlei Stellungnahmen zu diesem Thema, da sich der überwiegende Teil der Angebote zur anonymen Kindesabgabe in kirchlicher Trägerschaft beider Konfessionen befinden. Es existiert allerdings weder eine theologisch-ethische Monographie, noch eine fundierte ethische Beurteilung. Aus diesem Grunde geht die Verfasserin dieses Buches der Frage nach, ob die Angebote zur anonymen Kindesabgabe wirklich, wie vielfach behauptet und propagiert, eine ethisch sinnvolle Hilfe für Schwangere und Mütter in Not darstellen oder nicht.

Dabei stellt sich ebenfalls die Frage, welche rechtlich geregelten Hilfen es für Schwangere und Mütter in Not gibt, um sich verantwortungsvoll von ihrem Kind zu trennen. Gleichzeitig muss gefragt werden, was die Gründe dafür sind bzw. sein könnten, dass diese Angebote von den betreffenden Frauen nicht angenommen und genutzt werden.

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