Dissertation: Das Strafrecht, die Neurophysiologie und die Willensfreiheit

Das Strafrecht, die Neurophysiologie und die Willensfreiheit

Unrecht, Schuld und Vorsatz im Lichte neuerer Erkenntnisse der Hirnforschung Ein interdisziplinärer Forschungsbeitrag und zugleich ein erkenntnistheoretischer Beitrag über interdisziplinäres Forschen

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Strafrecht in Forschung und Praxis, Band 157

Hamburg , 328 Seiten

ISBN 978-3-8300-4534-2 (Print) |ISBN 978-3-339-04534-8 (eBook)

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Willensfreiheit - Hirnforschung – Schuldstrafrecht

Die Erkenntnisse der aktuellen Hirnforschung, denen zufolge mentales Geschehen auf neuronale Signalverarbeitungsprozesse im Gehirn zurückzuführen sein soll, können so interpretiert werden, als ob der Mensch zwar bei der Bildung seines Willens, nicht jedoch bei dessen Betätigung frei sei.

Doch veranlassen sie nicht dazu, die Strafrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, die ein von einem Schuldprinzip beherrschtes Tatstrafrecht verkörpert und dem Täter den Vorwurf des Anders-Gehandelt-Haben-Könnens machen muss, zugunsten eines an einer Gefährlichkeitsprognose orientierten Präventionsrechts aufzugeben.

Dies kann entgegen neuerer Auffassung nicht damit begründet werden, dass es möglich sei, einen Schuldvorwurf zu erheben, der der vorgreiflichen Bejahung einer Willensfreiheit entbehren könne. Richtigerweise bedarf jegliche Form strafrechtlicher Verantwortlichmachung, die an vollbrachte menschliche Handlung anknüpft, einer Stellungnahme zu einem Anders-Gehandelt-Haben-Können. Deshalb tritt die Problematik der Willensfreiheit auch nicht erst bei der Frage des Inhalts und der Ausgestaltung des strafrechtlichen Schuldbegriffs, sondern bereits bei Handlung und Vorsatz auf.

Indessen können die Ergebnisse der Neurowissenschaft nicht kurzerhand ignoriert werden. Denn obgleich als sicher gelten kann, dass es sich bei dem Gehirn um dasjenige Organ handelt, in dem Bewusstsein lokalisiert werden kann, ist weder eine Aussage dahin möglich, dass Bewusstsein von hirnorganischem Geschehen independent ist, noch können Bewusstseinszustände konkret Gehirnaktivitäten zugeordnet werden. Bewusstsein ist nicht vollständig neuronal repräsentiert; der neuronale Code ist derzeit nicht bekannt und das psycho-physische Problem ist noch unlösbar.

Gleichwohl, kann die Strafrechtswissenschaft sich entscheiden, den Menschen sowohl in seiner Willensbildung, als auch in seiner Willensbetätigung als frei hinzustellen. Strafrechtliche Sanktion muss nämlich damit begründet werden, dass Handlung Unrecht darstellt. Da aber dem Sein das Sollende nicht abgewonnen werden kann, kann es sich bei einem Unwerturteil nicht um eine Deskription, sondern nur um eine Askription handeln.

Allerdings ist das Strafrecht nicht vollkommen frei bei seinen Begriffsbildungen, da es dann keinen Grund geben würde, warum nicht jede beliebige Fiktion zum Rechtsinhalt erstarken könnte. Deshalb bedarf es eines Mechanismus, der etwas darüber besagt, wann Seinstatsachen für Rechtsinhalte relevant werden. Solch ein Mechanismus kann in einem Hierarchizismus, der Aussagen über die Ebenen- und Tiefenstrukturen von Gegenständen macht, gefunden werden.

Die Neurophysiologie, die Gehirnaktivitäten als neuronale Signalverarbeitungsprozesse auffasst, gehorcht völlig anderen Gesetz- und Regelmäßigkeiten, als die Psychologie, deren Gegenstand das Bewusstsein ist und als die Strafrechtspflege, die etwas über das Verhalten des Individuums in der Gemeinschaft besagen will. Die Strafrechtspflege ist autark gegenüber den Neurowissenschaften und braucht auf deren Erkenntnisse keine Rücksicht zu nehmen.

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